Arbeits- und Sozialrecht: Gesetzgebung aktuell
Die Arbeits- und Sozialgesetzgebung wurde auch 2021/22 durch die Pandemielage bestimmt. Die Banken-Arbeitgeber haben die zahlreichen und teilweise kurzfristigen Änderungen in Gesetzen und Verordnungen zum betrieblichen Infektionsschutz weiterhin verlässlich und verantwortungsvoll umgesetzt. Zuletzt hat darüber hinaus die Neufassung des Nachweisgesetzes, die in Teilen deutlich über die maßgebliche EU-Richtlinie hinausgeht, zu erheblicher Bürokratie geführt. Insbesondere das strenge Schriftformerfordernis bei der Bereitstellung der erforderlichen Informationen ist mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung unverständlich und belastet Branchen mit hoher Transformationsdynamik wie das Bankgewerbe erheblich.
Gesetz zur Umsetzung der EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie
Mit dem pünktlich zum Ablauf der Umsetzungsfrist am 1. August 2022 in Kraft getretenen Gesetz zur Umsetzung der EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie hat der deutsche Gesetzgeber die durch die Richtlinie (EU) 2019/1152 vom 30. Juni 2019 gesetzten Vorgaben zu transparenten und vorhersehbaren Arbeitsbedingungen ins deutsche Recht übertragen – im Wesentlichen durch verschiedene Neuregelungen im Nachweisgesetz (NachwG), dessen Informationspflichten nun bußgeldbewehrt ausgestaltet sind. Zudem wurden im Berufsbildungsgesetz (BBiG), Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sowie im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) kleinere Anpassungen vorgenommen.
Für großen Unmut in den Unternehmen sorgte das Umsetzungsgesetz insbesondere dadurch, dass von der nach Art. 3 der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit zur Abweichung vom Schriftformerfordernis durch modifizierte Textform oder elektronische Form – trotz deutlicher Intervention der Arbeitgeber im Gesetzgebungsverfahren in Form zweier Stellungnahmen – kein Gebrauch gemacht wurde. Damit wurde eine große Chance zur Digitalisierung der Personalverwaltung vertan. Dass damit möglicherweise ein Irrweg beschritten wird, zeigt sich nicht zuletzt auch im internationalen Vergleich, da Deutschland mit dem Schriftformerfordernis eine bedauernswerte Ausnahme im internationalen Vergleich ist. Vor diesem Hintergrund hat sich der der AGV Banken Mitte Juli 2022 in einem Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gewandt und darum gebeten, die Möglichkeit zur elektronischen Bereitstellung der erforderlichen Informationen zu schaffen (Details: s. Arbeits- und sozialpolitische Agenda).
Auch die weiteren Anpassungen im NachwG sind teilweise umstritten. So wurde unter anderem der Geltungsbereich auf alle Arbeitsverhältnisse ausgeweitet, sodass es nunmehr keine Ausnahme vom Nachweisgebot für Kurzzeitarbeitsverhältnisse unter einem Monat mehr gibt, wodurch sich der Verwaltungsaufwand für die kurzzeitige Beschäftigung von Aushilfskräften deutlich erhöht.
Ebenfalls problematisch erscheint, dass die neuen Nachweispflichten nicht nur für ab dem 1. August 2022 begründete Arbeitsverhältnisse gelten sollen, sondern auch bei „Altverträgen“ auf Verlangen des Arbeitnehmers Nachweis über Arbeitsbedingungen erbracht werden muss, soweit dies nicht bereits durch den bestehenden Arbeitsvertrag oder ein gesondertes Nachweisdokument geschehen ist.
Bewältigung der Corona-Pandemie
Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat 2021/22 erneut etliche Regelungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie erlassen. Dies betrifft vor allem die 3-G-Regel am Arbeitsplatz sowie die Verpflichtung der Arbeitgeber, den Beschäftigten so weit wie möglich Homeoffice anzubieten.
Die gesetzlichen Regelungen zur Pandemiebekämpfung sind zu einem großen Teil mit Entspannung der Infektionslage im Frühjahr 2022 ausgelaufen. Mit Blick auf den Winter 2022/23 gilt seit dem 1. Oktober 2022 eine neugefasste SARS-Cov-2-Arbeitschutzverordnung, die den betrieblichen Infektionsschutz erneut in den Fokus nimmt. Sie listet aus den vergangenen Jahren bereits bekannte Maßnahmen auf, deren Umsetzung der Arbeitgeber im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu prüfen und bei Erforderlichkeit in das betriebliche Hygienekonzept aufzunehmen hat. Dies sind insbesondere
- Einhaltung von 1,5 Metern Mindestabstand,
- Sicherstellung der Handhygiene,
- Einhaltung der Hust- und Niesetikette,
- infektionsschutzgerechtes Lüften von Innenräumen,
- Verminderung von betriebsbedingten Personenkontakten inklusive Homeoffice-Angebot,
- Testangebot für in Präsenz arbeitende Beschäftigte.
Der Arbeitgeber hat zudem medizinische Masken bereitzustellen, wenn andere Schutzmaßnahmen nicht ausreichend sind. Impfwillige Beschäftigte sind für die Impfung gegen das Coronavirus auch künftig freizustellen. Der Arbeitgeber hat die Beschäftigten weiterhin im Rahmen der Unterweisung über die Gesundheitsgefährdung bei einer Erkrankung am Coronavirus und die Möglichkeit einer Schutzimpfung zu informieren.
Entgegen einem ersten Referentenentwurf aus dem BMAS enthält die aktuelle Corona-Arbeitsschutzverordnung keine ausdrückliche Pflicht des Arbeitgebers mehr, seinen Beschäftigten zweimal wöchentlich einen kostenfreien Test zur Verfügung zu stellen sowie die Möglichkeit zum Homeoffice anzubieten.
Darüber hinaus wurde die Sonderregelung zur telefonischen Krankschreibung per Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 30. November 2022. Außerdem besteht nach § 45 Abs. 2a SGB V auch im Jahr 2022 ein erhöhter Anspruch auf Kinderkrankengeldtage. Die Zahl der in 2021 und 2022 zusätzlich verfügbaren Kinderkrankengeldtage wurde durch das vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite auf 30 Krankengeldtage pro Kind für jedes Elternteil und 60 Krankengeldtage pro Kind für Alleinerziehende erhöht.
Austausch zu Corona-Themen
Der AGV Banken begleitet die Rechtsthemen rund um die Pandemie regelmäßig in einem Corona-Austausch, den der Verband mit Beginn der Covid-19-Pandemie ins Leben gerufen hatte. Die Teilnehmer der Runde tauschten sich über das praktische Vorgehen zur Umsetzung der 3-G-Zutrittsregelung am Arbeitsplatz sowie die Ermöglichung von Arbeit aus dem Homeoffice aus. Es fand ein reger Austausch zum technischen Arbeitsschutz und Hygienemaßnahmen in Filialen und Büros, zum Umgang mit Verdachtsfällen und über Zeitpunkt und Gestaltung der Rückführung in den Betrieb sowie den Umgang mit Risikogruppen statt.
Das flexible Format hat sich bewährt und wird bei Bedarf kurzfristig aktiviert. Es bietet den Teilnehmenden kurzfristige Hilfestellungen und den Austausch von Erfahrungen im Umgang mit sich täglich entwickelnden Erkenntnissen und Entscheidungsgrundlagen; der Verband erhält wertvolle Hinweise aus der Betriebspraxis für seine die Pandemie begleitenden Tätigkeiten gegenüber Behörden und der Politik.
Gesetzgebung zu mobiler Arbeit
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben sich in ihrem Koalitionsvertrag vom 7. Dezember 2021 darauf verständigt, dass Beschäftigte in geeigneten Tätigkeiten einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice erhalten sollen. Arbeitgeber sollen dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen können, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Homeoffice als Form der mobilen Arbeit soll zudem von der Telearbeit abgegrenzt werden und grenzüberschreitende mobile Arbeit soll erleichtert werden.
Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde bisher nicht vorgelegt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat aber im Herbst 2022 einen so genannten Multistakeholder-Prozess gestartet, der dem Gesetzgebungsverfahren vorgeschaltet wird und in den der AGV Banken eingebunden ist (Details: s. Arbeits- und sozialpolitische Agenda).
Gesetzgebung zum Mindestlohn
Mit dem „Gesetz zur Erhöhung des Schutzes durch den gesetzlichen Mindestlohn und zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“ setzt die Bundesregierung die bereits im Koalitionsvertrag angekündigte Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro um. Das Vorhaben stieß von Anfang an auf den Widerstand der Arbeitgeberverbände, insbesondere weil ein von der Politik vorgegebener Mindestlohn die von den Sozialpartnern in der Mindestlohnkommission geleistete Arbeit in Frage stellt. Deren Einwände blieben jedoch unberücksichtigt, obwohl mehrere wissenschaftliche Gutachten den Gesetzentwurf aufgrund Verstoßes gegen die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) und gegen die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ablehnten.
Nach der Beschlussfassung durch den Bundestag am 3. Juni 2022 und der Billigung durch den Bundesrat am 10. Juni 2022 ist das Gesetz zur Erhöhung des Mindestlohns am 1. Oktober 2022 in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch die Mini- und Midijobgrenze auf 520 beziehungsweise 1.600 Euro im Monat angehoben.
Umsetzung der EU-Hinweisgeberrichtlinie durch ein Whistleblowerschutzgesetz
Die als „Hinweisgeberrichtlinie“ bekannte Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23. Oktober 2019 dient dem im öffentlichen Interesse liegenden Schutz von Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße gegen EU-Recht erlangt haben und diese an die vorgesehenen Meldestellen weitergeben. Neben Vorgaben zur Einrichtung geeigneter Meldestellen und zum Meldeverfahren sieht die Richtlinie zu diesem Zweck auch Regelungen vor, die Repressalien durch den Arbeitgeber als Reaktion auf die Meldung verhindern sollen.
Die Richtlinie sollte ursprünglich bis zum 21. Dezember 2021 in das nationale Recht der Mitgliedsstaaten umgesetzt worden sein. Jedoch haben 24 von 27 EU-Mitgliedsstaaten einschließlich Deutschlands die Richtlinie zum Stichtag nicht oder nicht richtig umgesetzt, woraufhin die Europäische Kommission am 27. Januar 2022 ein Aufforderungsschreiben an die 24 säumigen Regierungen der Unionsmitgliedstaaten versandt und Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hatte.
In Reaktion darauf legte das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf vor, der am 27. Juli 2022 vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Im Vorfeld haben unter anderem Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) unter Mitwirkung des AGV Banken sowie die BDA in ausführlichen Positionspapieren Stellung zu dem Referentenentwurf genommen und darin massive Kritik an der überschießenden Umsetzung der EU-Richtlinie geübt.
Anlass dazu bot bereits der in § 2 des Entwurfs geregelte sachliche Anwendungsbereich des zukünftigen Gesetzes. So sollen von dem Hinweisgeberschutz entgegen der Richtlinie nicht nur Meldungen zu Verstößen gegen EU-Recht erfasst sein, sondern auch Meldungen zu allen straf- und bußgeldbewährten Verstößen gegen nationales Recht, soweit die Vorschrift dem Schutz von Leib, Leben, Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient. Hinzu kommt, dass der Entwurf entgegen der ausdrücklichen Aufforderung durch die Richtlinie keinen Vorrang der Meldung über interne Meldekanäle vorsieht. Stattdessen soll ein Hinweisgeber frei wählen können, ob er sich zunächst an das Unternehmen und die dortigen Compliance-Kanäle wendet oder ob er unmittelbar eine externe Behörde kontaktiert.
Aller Kritik zum Trotz wurden die Bestimmungen des Referentenentwurfs nahezu unverändert in den Regierungsentwurf übernommen, der zudem an manchen Stellen mangels Bestimmtheit Fragen aufwirft. So bleibt beispielsweise unklar, wie in der Praxis mit anonymen Meldungen umgegangen werden soll, etwa in Bezug auf Rückmeldepflichten.
Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU)
Die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) geht im Wesentlichen auf das „Dritte Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie“ (Drittes Bürokratieentlastungsgesetz) zurück, das am 24. Oktober 2019 vom Bundestag verabschiedet wurde und mit dem die deutsche Wirtschaft laut der damaligen Bundesregierung um mehr als 1,1 Milliarden Euro pro Jahr entlastet werden sollte.
Dieses Ziel soll unter anderem durch den überwiegenden Wegfall der schriftlichen Krankschreibung („gelber Schein“) zugunsten eines digitalen Abrufverfahrens bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum 1. Januar 2023 erreicht werden. Während Arbeitnehmer*innen nach dem bisherigen Verfahren bei der Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch einen Arzt neben einem Ausdruck der Bescheinigung für die Krankenkasse und einem Exemplar für die eigenen Unterlagen auch einen gelben Ausdruck für den Arbeitgeber ausgehändigt bekommen haben, den sie gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 EntgFG spätestens am dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen hatten, greift beim neuen eAU-Verfahren eine im Idealfall vollständig digitale Übertragung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum Arbeitgeber. Das neue eAU-Verfahren kommt vorerst nicht bei privat versicherten Arbeitnehmer*innen sowie solchen von Privatärzten, ausländischen Ärzten und Physio- und Psychotherapeuten zum Einsatz.
Austausch zu Energiesparmaßnahmen
Mit Blick auf die angespannte Gasversorgungslage in Deutschland und mit dem Ziel, die Energiesicherheit zu gewährleisten, hat die Bundesregierung eine Energiesparverordnung erlassen, die auf kurzfristig zu erreichende Einsparungen abzielt und in Teilen auch das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten betrifft. Die „Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen“ (EnSikuMaV) ist am 1. September 2022 in Kraft getreten und wird am 28. Februar 2023 auslaufen. Darin sind als neue Mindesttemperaturwerte für Arbeitsräume in Arbeitsstätten vorgesehen:
- für körperlich leichte und überwiegend sitzende Tätigkeit: 19 Grad Celsius,
- für körperliche leichte Tätigkeit überwiegend im Stehen oder Gehen: 18 Grad Celsius,
- für mittelschwere und überwiegend sitzende Tätigkeit: 18 Grad Celsius
- für mittelschwere Tätigkeit überwiegend im Stehen oder Gehen: 16 Grad Celsius,
- für körperlich schwere Tätigkeit: 12 Grad Celsius.
Damit kann der Arbeitgeber auf freiwilliger Basis die Temperatur geringfügig absenken. Dagegen wird nicht vorgeschrieben, dass die Raumtemperaturen in Arbeitsstätten verringert werden müssen.
Der AGV Banken hat eine Austauschrunde Energie eingerichtet, um die politische Diskussion über weitere Erfordernisse und mögliche Potenziale der Energieeinsparung zu begleiten und ein Forum zum regelmäßigen und zeitnahen Austausch innerhalb der Branche zu etablieren. Die konstituierende Sitzung mit Teilnehmenden aus dem Arbeitsrechts- und Tarifausschuss sowie aus dem Bundesverband deutscher Banken (BdB) war am 26. August 2022.